
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Zilius, wir stehen hier auf dem BoA-Block im Kraftwerk Niederaußem und haben einen wunderbaren Blick über Ihr Reich. Schmerzt es Sie, dieses Reich zu verlassen?
JAN ZILIUS: Reich, das ist wohl das falsche Wort. Es ist aber sicherlich befriedigend, auf einem neuen Kraftwerk zu stehen, das auch Symbol für eine Entwicklung ist – für die Kraftwerkstechnik, aber auch unter Klimagesichtspunkten. Dass wir das alles hingekriegt haben mit den Entscheidungen für BoA I, II und III und die dahinterliegende Garzweiler-II-Entscheidung, ist sehr positiv. RWE-Power in den Ruhestand zu verlassen, schmerzt überhaupt nicht. Bis jetzt tue ich mich nicht schwer, aus dem Job auszuscheiden. Ich bin seit letzter Woche 61 Jahre alt. Das ist kein Alter, in dem man glaubt, etwas zu verpassen. Es tut sich eine Menge im Konzern. Auch deshalb ist der Zeitpunkt gut.
Haben Sie denn nicht das Gefühl, ein bisschen Macht zu verlieren?
ZILIUS: Dass wir als Vorstände Macht haben, das ist schon richtig. Macht steht für mich in diesem Zusammenhang aber nicht im Vordergrund. Man hat unglaublich viel Verantwortung, und diese zu verlieren, ist ja nichts Schlimmes. Die Frage ist ja: Wie ist man mit der Verantwortung umgegangen? Und wenn ich da zurückblicke, glaube ich, dass wir das ganz verantwortungsvoll gemacht haben.
Worin besteht denn die Verantwortung als Chef eines Unternehmens?
ZILIUS: Ein Unternehmen so zu führen, dass es zukunftsgerichtet und überlebensfähig ist. Das war für den Bereich Braunkohle nicht immer einfach in den letzten 17 Jahren. Da haben wir hart arbeiten müssen. Zu der Verantwortung gehört auch, die Arbeitsplätze zu erhalten oder jetzt wieder – was ein schönes Gefühl ist – Leute einstellen zu können.
Das hat in den vergangen 17 Jahren nicht immer funktioniert. Kurz nachdem Sie zu Rheinbraun gekommen sind, hat es einen massiven Arbeitsplatzabbau gegeben. Schmerzt dieser Schritt im Rückblick?
ZILIUS: Nicht nur mir, uns allen ist es nicht leicht gefallen, Tausende Arbeitsplätze abzubauen. Aber die Entwicklung hat uns gezeigt, dass wir es richtig gemacht haben. Wenn wir die Arbeitsplätze nicht in diesem Maße abgebaut und Kosten reduziert hätten, wären wir heute nicht konkurrenzfähig.
Gab es keine Alternative zum damaligen Stellenabbau?
ZILIUS: Im Grundsatz nein. Das zeigt sich heute. Die Braunkohle war über Jahre nicht konkurrenzfähig. Dass wir heute verhältnismäßig gutes Geld verdienen und mit der Power-Sparte im RWE-Konzern die treibende Kraft sind, das liegt nicht nur an den hohen Energiepreisen, sondern auch daran, dass wir hervorragend aufgestellt sind. Und zwar als Erfolg und Konsequenz dieses Prozesses.
Zu Rheinbraun kamen Sie damals von der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IG BCE) und wurden dann Vorstandsmitglied. Was ist von den Überzeugungen des Gewerkschafters heute noch übrig?
ZILIUS: Wenn man Mitverantwortung richtig versteht, heißt das, immer auch Verantwortung für das gesamte Unternehmen zu übernehmen und nicht nur eindimensional für bestimmte Arbeitnehmerinteressen. Wenn jemand Mitbestimmung nur als Interessenwahrung für die Arbeitnehmer versteht, dann hat er ein falsches Verständnis von Mitbestimmung.
Auch als Gewerkschafter?
ZILIUS: Ja, denn sonst wäre ich auch kein Anhänger von Mitbestimmung. Wenn die Wahrung der Arbeitnehmerinteressen als Teil der Gesamtverantwortung verstanden wird, dann ist die Mitbestimmung richtig verstanden. Und deswegen ist etwa der Arbeitsplatzabbau ein Teil der Unternehmensentwicklung, den Sie auch als Gewerkschafter vertreten können und müssen in einer solchen Situation, wie wir sie hatten.
Der Ruf der Manager ist allgemein nicht sehr gut. Wie fühlt man sich heutzutage als Manager?
ZILIUS: Ich denke, man sollte diese Diskussion nicht zu sehr verallgemeinern. Es gibt bestimmte Anlässe, über Manager zu reden – etwa nach großen Gehaltserhöhungen. Es gibt bestimmte Vorgänge, die man hinterfragen muss, aber ich glaube nicht, dass man die deutschen Manager in eine Ecke stellen kann oder darf. Wenn Sie sich anschauen, welche Rolle die deutschen Unternehmen auch international mittlerweile spielen, können die Manager so schlecht nicht sein. Und das bei sehr schwierigen und komplexen Vorgängen im Rahmen der Internationalisierung und Globalisierung.
Ist es aber gerechtfertigt, wenn Managergehälter um bis zu 30 Prozent steigen?
ZILIUS: Ob die hohen Gehälter, die wir haben, gerechtfertigt sind oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Dass die Vorstandsgehälter so hoch sind, hat auch mit der Globalisierung zu tun.
Ist ein Grund für die hohen Gehälter nicht auch der, dass Manager heute sagen können: Ich sitze sowieso am längeren Hebel?
ZILIUS: Dafür müssen viel zu viele, die angeblich am längeren Hebel sitzen, plötzlich das Unternehmen verlassen. Das Gehalt legt ja der Aufsichtsrat fest, in dem auch Arbeitnehmervertreter sitzen. Dort gibt es auch ein Interesse, gute Manager zu bekommen. Im Übrigen ist ein großer Teil der Gehälter variabel und an den Erfolg des Unternehmens gekoppelt. Das finde ich richtig.
Auch der Ruf von RWE im Speziellen und den Stromkonzernen im Allgemeinen könnte besser sein.
ZILIUS: Dass der Ruf nicht besonders gut ist, liegt an den hohen Strompreisen und den großen Gewinnen. Wir müssen uns fragen, ob wir in der Kommunikation nach außen alles richtig gemacht haben und uns immer richtig verhalten haben. Dass wir besondere Schwierigkeiten haben, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass ein Energieunternehmen wie kaum ein anderes von der Politik abhängig ist. Etwa bei der Frage, woher die hohen Strompreise kommen. 40 Prozent der Erhöhung seit der Marktöffnung 1998 sind politikgetrieben. Das sagt natürlich kein Politiker. Der zeigt auf die Unternehmen. Wir kommunizieren das zwar, tun uns damit aber schwer, denn weder an der Politik noch an den Marktmechanismen ändern wir etwas.
Offenbar haben die Stromunternehmen auch an Glaubwürdigkeit verloren. Beispiel: Es wurden neue Gasverträge verschickt mit der Werbung: Wir senken den Gaspreis, dafür bekommt ihr einen neuen Vertrag. Viele unserer Leser haben sich darauf misstrauisch geäußert, weil sie vermuteten, da müsse mehr dahinterstecken.
ZILIUS: Das ist eine Folge der Diskussion, die wir in den letzten Jahren hatten. Leider waren einige politische Entscheidungen in den letzten zwei, drei Jahren mehr von populistischen Ansätzen geprägt als von Sachargumenten. Der Tenor war: alles, was die Energieunternehmen machen, ist sowieso des Teufels. Wenn ich mal zurückdenke: Die Diskussion um Garzweiler II ist gerade mal zehn Jahre her. Die wurde hart geführt, und das Thema war politisch umkämpft. Ich empfinde im Rückblick die damalige Diskussion als angenehm und wohltuend, weil einfach sachlicher argumentiert wurde.
Und heute?
ZILIUS: Schauen Sie sich allein die irre Diskussion um die alten Braunkohlekraftwerke an. Wenn wir vor einem halben Jahr gesagt hätten, wir nehmen zwölf 150-MW-Blöcke vom Netz. Ich weiß nicht, was Sie mit mir gemacht hätten, da das Auswirkungen auf den Strompreis gehabt hätte. Dieses Argument spielt im Augenblick überhaupt keine Rolle. Wenn morgen in der Ukraine oder anderswo wieder was passiert und die heimischen Energie wieder eine größere Rolle spielt, dann sind wir alle froh, dass wir diese 150-MW-Blöcke in Frimmersdorf noch haben. Jetzt wird über CO diskutiert, und wir werden wegen dieser Blöcke an den Pranger gestellt. Dabei haben wir mit der Landesregierung abgestimmt, wann wir was abschalten, und daran halten wir uns. Trotzdem heißt es derzeit, dass wir keine Verantwortung für den CO-Ausstoß übernehmen. Das stimmt einfach nicht.
Es ist vielleicht der Eindruck entstanden, die Stromkonzerne wollen sich nicht auf eine CO-Diskussion einlassen.
ZILIUS: Das ist natürlich Unfug. Wenn Sie etwas für die Umwelt tun wollen, müssen neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Auch wenn das nicht allen passt, 60 Prozent unserer Energie kommt aus Kohle. Selbst, wenn wir 25 Prozent regenerative Energien hätten, brauchten wir noch Kohlekraftwerke – zum Beispiel BoA II und III. Unser Problem ist nur: Wir bauen ein Kraftwerk für 2,2 Milliarden Euro und wissen nicht, wie die politischen Rahmenbedingungen ab 2013 sind. Es muss aber erlaubt sein zu sagen, dass so eine erfolgreiche Energiepolitik nicht aussehen kann.
Jetzt gab es gerade eine neue Entscheidung zum nationalen Allokationsplan, es wird vermutlich weniger Zertifikate für CO-Emissionen geben. Sie müssen daher den Ausstoß drosseln. Können Sie damit leben?
ZILIUS: Was immer im nationalen Allokationsplan 2, der vermutlich Mitte des Jahres beschlossen wird, zurzeit vorgesehen ist, das halten wir bis 2012 wahrscheinlich aus. Das Entscheidende ist, dass wir keine klare Aussage zur Braunkohle für die Jahre danach bekommen. Wenn man auf den Braunkohle-Benchmark verzichtet …
… also den Braunkohle-Kraftwerken keinen eigenen, höheren CO-Richtwert zuweist …
ZILIUS: …, akzeptiert man eine grundsätzliche Benachteiligung der Braunkohle gegenüber anderen Energieträgern. Das ist ein Punkt, der insbesondere diese Region und das Land NRW umtreiben muss, und zwar unabhängig davon, ob wir einige Zertifikate für den Emissionshandel mehr oder weniger bekommen. Das ist auch wichtig, aber die Frage, was passiert langfristig mit der Kohle, das ist der Punkt, der an dem Stichwort Braunkohle-Benchmark festzumachen ist.
Grundsätzlich gehen Sie aber davon aus, dass die Braunkohle langfristig benötigt wird.
ZILIUS: Wir sind uns da ganz sicher, aber wir sehen eben in der Entscheidung keine klare Aussage, ob die Politik das auch so sieht.
Steigt der Strompreis durch den neuen Plan zur Verteilung der Verschmutzungsrechte?
ZILIUS: Das weiß ich nicht. Der Strompreis ist kein deutscher, sondern ein europäischer Preis. Er hängt natürlich auch ein Stück vom CO-Preis ab, aber nicht allein. Tendenziell wird er steigen, aber wir müssen erst mal abwarten.
Tendenziell wird auch das Klima ein bisschen besser?
ZILIUS: Ja, solange wir hier in Deutschland die Möglichkeit haben, neue Kraftwerke zu bauen. Schon europäisch hat das eine andere Dimension. In der Gesamtmenge spielen wir keine Rolle. Das merken Sie hinter dem Komma, nicht davor.
Wie müsste die Klimadiskussion aus Ihrer Sicht geführt werden?
ZILIUS: Wir müssen uns fragen, wie wir die CO-Emissionen weltweit reduzieren können und international mehr Geld in die Verringerung des CO-Ausstoßes investieren. Und wir müssen uns über die Verbesserung der Technik der Kohleverstromung unterhalten – also Effizienz bis hin zum CO-freien Kraftwerk. Wenn wir das hinkriegen und wenn das ein Exportschlager wird, dann könnte das wirklich helfen. Ob wir dann 2050 auf die Kohle verzichten können oder ob wir Alternativen haben, das weiß ich nicht, und darauf sollten wir uns nicht verlassen.
Sind Sie froh, mit dem Ruhestand diese Gedanken und diese Verantwortung los zu sein?
ZILIUS: Die Zeit war aber auch geprägt von einer Menge positiver Entscheidungen. Wenn es gut läuft, merken Sie auch die Arbeit weniger. Aber ich werde sie nicht vermissen.
Sie rufen also nicht jeden Tag in der Firma an und fragen, ob alles in Ordnung ist?
ZILIUS: Davon dürfen Sie ausgehen. Ich hoffe nur, dass es meine Familie nicht als Drohung empfindet, dass ich jetzt häufiger zu Hause bin.
Das Gespräch führten Simon Lorenz und Jürgen Koch (beide KStA).
Quelle:
http://www.ksta.de/jks/artikel.jsp?id=1176113326444